1938 endete jüdisches Gemeindeleben in Schupbach und den umliegenden Orten Obertiefenbach, Heckholzhausen und Gaudernbach. An Jomkippur fand in der Synagoge der letzte Gottesdienst statt, anschließend löste sich die Gemeinde unter dem Druck der NS-Gewaltherrschaft auf. Das Gebäude überstand diese Zeit unbeschadet, da es vor der Reichspogromnacht in arischen Besitz übergegangen war.
Jüdisches Leben in Schupbach begann wahrscheinlich im 18. Jahrhundert, als einzelne Bürger des Ortes der jüdischen Religion angehörten. Im Jahr 1733 wird ein Moses aus Schupbach als Vorsteher der Gemeinde in Runkel geführt. Christa Pullmann schreibt dazu in ihrem Beitrag "Die israelitische Kultusgemeinde in Runkel im 18. und 19. Jahrhundert" im Band "Runkel 1159 – 2009" auch davon, dass es bereits im Jahr 1774 eine Synagoge in Schupbach gegeben haben soll. Andere Abhandlungen (zum Beispiel alemannia-judaica.de/schupbach_synagoge oder Paul Arnsberg: "Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn") gehen davon aus, dass sich ein eigenständiges Gemeindeleben zu Beginn des 19. Jahrhunderts in dem Ort sowie in einigen Filialorten herausbildete.
Bereits 1807/1808 wurden in Schupbach 13 jüdische Familien mit 60 Personen gezählt. 30 Jahre später war Schupbach zur größten und bedeutendsten jüdischen Landgemeinde in der Umgebung herangewachsen. In Schupbach selbst waren 18 jüdische Familien mit 68 Personen beheimatet, hinzu kamen die Filialorte Obertiefenbach (5/14), Heckholzhausen (7/18) und Gaudernbach 6/19) sowie eine Familie in Wirbelau. Bis zum Jahr 1884 wuchs die Gemeinde auf 170 bis 180 Köpfe an. Als Lebensunterhalt diente den Familien vor allem der Viehhandel.
In Schupbach steht die Synagoge der Gemeinde, genau an dem Ort, an dem sich auch heute das Gebäude der ehemaligen Synagoge befindet. Nach einem Lageplan aus der Zeit um 1860 hatte die erste Synagoge die gleichen Umrisse wie das heutige Gebäude. Bei der ersten Synagoge oder Betsaal handelte es sich vermutlich um ein Wohnhaus oder ein landwirtschaftlich genutztes Gebäude, das von der jüdischen Gemeinde umgenutzt wurde.
1858 wurde nach Paul Arnsberg festgestellt, dass sich das Gebäude in einem sehr schlechten Zustand befindet und zudem für die Gemeinde zu klein ist: Es fällt die Entscheidung, eine neue Synagoge zu bauen. Es fehlte jedoch an den finanziellen Mitteln, um die Pläne umzusetzen. Erst 1876 wurde mit dem Neubau begonnen, der 1877 abgeschlossen und eingeweiht wurde.
Das neue und heute noch existierende Gebäude ist aus Ziegelsteinen errichtet und besteht aus Eingang/Vorraum, Treppenhaus, dem Betraum und der Frauenempore. Hinweise auf einen separaten Schulraum, in dem die Kinder unterrichtet werden, und der in der Literatur häufig erwähnt wird, finden sich nicht.
Die Mikwe befand sich hinter der Synagoge und wurde durch einen separaten Ausgang erreicht. Der Ablauf bzw. Überlauf der Mikwe durchquert noch heute den Boden im Betsaal. Vom Baustil ist es eine typische Reformsynagoge mit einem Toraschrein, jedoch ohne Almemor. Die Treppe führt auf die Frauenempore, es gibt in dem Gebäude keinen separaten, eigentlich obligatorischen, Fraueneingang, vermutlich aufgrund des Platzverhältnisse. Die drei Fenster zur Straßenseite waren über zwei Geschosse durchgehend angelegt und verliehen dem Gebäude einen sakralen Charakter. Auflage nach dem Eigentumswechsel 1938 war es, das Gebäude den übrigen Wohnhäusern anzugleichen, dazu wurden die Fenster unterbrochen und die Lücken ausgemauert.
Die Gemeinde verfügte auch über einen eigenen Friedhof, der zunächst abseits des Ortes lag. Heute befindet sich der Friedhof des Ortes genau daneben und die Bebauung ist herangewachsen. Der jüdische Friedhof entspricht leider nicht der jüdischen Begräbniskultur. Viele Grabsteine wurden im Rahmen von einer oder mehreren Schändungsaktionen während der NS-Zeit entfernt, die verbliebenen Grabsteine wurden dann in der 70er oder 80er Jahren zu einem Monument zusammengefügt.
Als die Gemeinde ihr neues Gebets- und Versammlungshaus nutzen konnte, hatte schon ein Prozess eingesetzt, der die jüdischen Landgemeinden schrumpfen ließ, die größeren Städte entwickelten eine deutliche Anziehungskraft auf die jüdische Bevölkerung. Dennoch blieb bis zum Jahr 1904 eine jüdische Religionsschule in der Gemeinde.
Die Gemeinde wurde in den folgenden Jahren des 20. Jahrhunderts immer kleiner, 1925 lebten in Schupbach noch elf jüdische Personen, in Obertiefenbach noch zehn, in Gaudernbach und Heckholzhausen gab es zu dieser Zeit schon keine jüdischen Familien mehr. 1933 lebten in den beiden Orten noch insgesamt 18 Personen jüdischen Glaubens. Die Zeitschrift "Der Israelit" berichtet in ihrer letzten Ausgabe vom 3. November 1938 davon, dass die Gemeinde in Schupbach, die noch aus fünf Familien bestand, ihren letzten G'ttesdienst am Jomkippur abgehalten hat. Zu diesem Zeitpunkt stand fest, dass drei weitere Familien auswandern werden und die Synagoge verkauft worden war.
Mit dem letzten Gottesdienst endete jüdisches Gemeindeleben in Schupbach und Obertiefenbach. Opfer des NS-Regimes wurden die in den vier Orten der Gemeinde geborenen und/oder längere Zeit dort lebenden: Julius Halberstadt, Emma Jakob geb. Löwenberg, Hanchen Löwenberg, Antonia Rothschild geb. Jakob, Berta Strauss geb. Kron, Lily Tobias geb. Löwenberg (aus Schupbach), Ilse Hermann, Leopold Hermann, Paula Hermann geb. Blumenthal, Ruth Hermann, Sally Hermann, Albert Zadok Herz, Arthur Herz, Jenny Rosa Herz, Siegmund Herz, Rosa Reinhard geb. Strauß, Ida Reiss geb. Hermann, Moritz Rosenberg, Regina Rothschild geb. Rosenberg (aus Obertiefenbach), Heimann Goldschmidt, Rosa Meyer geb. Goldschmidt, Franziska Schwarz, Max Schwarz (aus Heckholzhausen) und Mathilda Flörsheim geb. Geroldstein, Henriette Gewaldstein sowie Johanna Löb (aus Gaudernbach).
Hermann Strauß, der letzte Vorbeter der Gemeinde, nahm bei seiner Flucht 1938/39 die Torarolle aus der Synagoge in Schupbach mit. Über Triest und Singapur gelangte sie nach San Francisco. In Singapur und San Francisco wurde sie in Synagogen genutzt, um aus ihr vorzulesen. Anlässlich der Bar Mizwa von Jeffrey Streimer, dem Enkel von Hermann Strauss, wurde die Torarolle nach Sydney gebracht. Bei einem Brand 1994 wurde die Zentral Synagoge zerstört, auch die Torarolle aus Schupbach wurde dabei ein Opfer der Flammen.
Weitere Literaturhinweise zu den bereits im Text genannten: Britta Gaedecke setzt sich in verschiedenen Beiträgen des Jahrbuchs des Kreises Limburg-Weilburg sowie in eigenständigen Veröffentlichungen intensiv mit dem jüdischen Leben in Schupbach auseinander.
Unser Vereinsmitglied Christa Pullmann hat sich auf Spurensuche begeben und mit Nachfahren von früheren jüdischen Einwohnern von Schupbach und Obertiefenbach Kontakt aufgenommen.
Lesen Sie dazu diesen Artikel.
Über das Schicksal der Tora-Rolle aus der Schupbacher Synagoge informiert der folgende Artikel, auch von unserem Mitglied Christa Pullmann: Die Torarolle von Schupbach [PDF]